Die Plakate hängen überall. Sie zeigen eine Landschaft in pink. Dahinter erhebt sich der schneeweiße Gipfel des Berges Fuji. Von Ende April bis Anfang Juni blüht der Polsterphlox in der Präfektur Yamanashi, und bei diesem Festival geht es genau darum.
Die Busfahrt führt durch die Berge nordöstlich von Kawaguchiko. Sie erheben sich bis auf 1700 Meter, sind dicht bewaldet, haben steile Flanken und sind stark zerklüftet. Etwas Vergleichbares habe ich in Deutschland nicht gesehen. Sieht man sich die Gegend auf der Landkarte an wird deutlich, es handelt sich um eine Art Ringgebirge um den Kegel des Fuji. Vermutlich ist es geologisch gesehen ziemlich jung. Mich schaudert, wenn ich an die Kräfte denke, die diese Berge geformt haben.
Doch momentan hält der Wald meine Aufmerksamkeit gefangen. Es ist zunächst über weite Strecken ein Mischwald mit einem hohen Anteil von Kiefern. Dazwischen blühen in herrlichem rosa-violett wilde Azaleen. Als wir höher in die Berge kommen, ändert sich die Zusammensetzung. Laubbäume überziehen die Hänge, ist ein richtiger Urwald. Der Mai ist zwar gekommen, aber mit dem Ausschlagen lassen sich die meisten Bäume noch Zeit. Nur die Sträucher zeigen erstes zartes Grün.
Die Stämme sind nicht besonders dick und meistens krumm und verwachsen, teilweise mit Schlingpflanzen behängt. Sie stehen auf Blockhalden aus Lavafelsen. Der unbekannte Wald fasziniert mich. Er raunt und lockt. Ich starre aus dem Fenster des fahrenden Busses wie jenes Kind, das ich einst war, dem die Welt neu und eine einzige geheimnisvolle Verheißung gewesen ist. So schaute ich bei den langen Autofahrten meiner Kindheit in die Welt, mit brennender Neugier und nimmersatten Augen.
Auf dem Busparkplatz hat mich die allgemeine Realität wieder. Es herrscht ein heiteres Gewusel, in das die japanischen Mitarbeiter des Festivals aber bald Ordnung bringen. In sauberen Zweierreihen geht es zum Eingang. Und dann liegt die pinke Pracht vor uns ausgebreitet - Polsterphlox wohin man schaut. Es ist natürlich kein Naturschutzgebiet, sondern ein sorgfältig angelegter Garten. Und es blüht nicht nur rosa, sondern auch altrosa und shocking pink und hellviolett und weiß. Und es gibt nicht nur Polsterphlox, sondern auch Beete mit hübschen Anemonen, Traubenhyazinthen und dazwischen immer wieder blühende Kirschbäume.
Masae und ich bewegen uns langsam auf den Wegen, denn allüberall werden natürlich Fotos gemacht, und ja, auch von mir. Ich habe einmal gelesen, das Selfie-Machen habe eine wichtige Funktion für den modernen Menschen. Es sei eine Art Selbstvergewisserung, ein existenzieller Beweis des eigenen Daseins. Die absolute Form dieser ontologischen Rückversicherung sei es, im Fernsehen gezeigt zu werden. Ich denke, Facebook oder Youtobe tut es auch.
Das Wetter ist nicht so freundlich, an diesem ersten Mai. Ich hätte die Jacke mitnehmen sollen, denn der kühle Wind frischt plötzlich stark auf. Die Wolken werden dichter. Es wird gleich regnen, meint Masae. Ach was, wende ich ein, es ist nur ein bisschen windig. Meine Frau sollte recht behalten. Gerade als wir die Plattform besteigen wollen, von der aus man den Park überblicken und diese Bilder mit dem Kegel des Fujiyama vor der pinken Landschaft machen kann, legt der Regen los. Wir brechen den Aufstieg aprupt ab und suchen hastig Schutz unterhalb der Plattform. Japans heiliger Berg ist nicht zu sehen. Er hat den Wolkenvorhang heruntergelassen. Stattdessen bietet sich uns der reizvolle Anblick wind- und regengebeutelter Parkbesucher, die eiligst Unterstand suchen. Der Regen rauscht, Blitze zucken und Donner grollt.
Es gibt hier nur fliegende Bauten (bautechnisch, nicht wörtlich). Sobald der Regen etwas nachlässt, huschen wir zu einer Art Partyzelt, wo es heißen Kaffee und Kuchen gibt. Ich entscheide mich für ein Gebäck in Form des Fuji - lecker!
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