Okinawa

Der Flug von Osaka nach Naha, der Hauptstadt​ Okinawas, dauert weniger​ als zwei Stunden. Auf dem Weg zur Gepäckausgabe freue ich mich über die vielen Orchideen. Überwiegend Phalenopsis, Schmetterlingeorchideen, säumen überreich blühend die langen Flure und Gänge.
Masaes Geschwister empfangen uns herzlich. Wir werden im Haus ihres ältesten Bruders wohnen. Auf der Fahrt dorthin sehe ich mehr Apartmenthäuser als zuvor. Neue Straßen​, Brücken und sogar ein Tunnel, der unter dem Meer verläuft, verkürzen den Weg vom Flughafen nach Ginowan, dem Heimat-  und Wohnort von Masaes Familie. Noch etwas fällt mir auf, es fehlen völlig die Shops mit Army Surplus Goods, Geschäfte, in denen ausgemusterte Ware der US-Armee verkauft wurden. Man erkannte sie auf größere Entfernung an den meist rot gestrichenen Raketen oder ähnlich martialischem Kram neben dem Eingang.
Als wir schließlich in Masaes Vaterhaus ankommen, sind viele Familienmitglieder versammelt. Wir gehen zusammen zum Abendessen. Das Lokal liegt in einem der neuen Einkaufszentren. Sehr nettes Restaurant, gute japanische Küche.
Die kommenden Tage vergehen überwiegend mit Besuchen bei Masaes vier Geschwistern. In der Zeit dazwischen schreibe ich am Blog und veröffentliche Fotos auf dem Flickr Account. Das Wetter meint es nicht so gut mit uns. Es ist meistens bewölkt und oft regnet es.
Wenn es einmal nicht regnet, gehe ich zum Strand. Den Weg kenne ich gut. Es gibt jetzt auch hier neue Straßen und sehr viele neue Apartments, Hotels und Geschäfte. Als ich vor dreißig Jahren das erste Mal zu Besuch war, baute mein Schwiegervater hier Taro an. Es gab noch Felder und viele der alten Häuser, einstöckig, aus Holz gebaut, mit robusten Ziegeldächern und einer Mauer aus aufgeschichteten Korallenbrocken ringsum.

Tropical Beach
Yachten in der Ginowan Marina
Bevor ich den Strand erreiche, komme ich am neuen Yachthafen vorbei. Hier liegen hochseetüchtige Motor- und Segelboote vor Anker, darunter auch stark​ motorisierte Yachten zur Sportfischerei.
Der offizielle Badestrand von Ginowan heißt Tropical Beach. Es gibt dort Pavillons, die man reservieren, Liegestühle und Sonnenschirme, die man mieten kann, einige Kioske, eine Tauchschule, usw. Der Schwimmbereich ist mit einem Netz vom Restmeer abgetrennt. Das Netz schützt vor Würfelquallen, die hin und wieder vorkommen. Besucher sind sehr wenige da. Ich zähle maximal zehn Leute, einige waten im kristallklaren Wasser, ein paar liegen am Strand und etliche machen nur schnell ein Selfie "ich am Tropical Beach" und sind dann wieder verschwunden.

Ruhe am Tropical Beach
Während ich im Schatten eines Pavillon sitze und mir Notizen mache, ertönt über mir immer wieder das Grollen und Fauchen von Militärflugzeugen. Die F-15 Eagles, meist in Zweierformation, fliegen einen weiten Bogen über die Bucht von Ginowan und landen dann im nahen Kadena. Das ist vermutlich der größte US-Militärflughafen außerhalb der USA. Die Präsenz des US-Militärs ist auf Okinawa unübersehbar und ist eine Folge des des zweiten Weltkriegs. Im Ryukyu Archipel wurden die verlustreichsten Schlachten im pazifischen Raum geschlagen. Das japanische Militär kämpfte verbissen und oft bis zum letzten Mann. Auch unter der Zivilbevölkerung gab es massive Opfer. Die Japaner verbreiteten Gräuelmärchen über die US-Soldaten. Viele Frauen und Mädchen stürzten sich von den Klippen.
Nach dem Krieg blieb Okinawa bis zum 15. Mai 1972 unter US-Verwaltung. Die Landeswährung war der Dollar, man fuhr auf der rechten Straßenseite und das Militär der USA war der größte Arbeitgeber. Okinawa war für die US-Militärstrategen der unsinkbare Flugzeugträger im südlichen Pazifik. Von hier aus starteten die meisten Luftangriffe im Korea- und im Vietnamkrieg.
Zwei F-15 im Landeanflug auf Kadena
Das Militär pachtet das Land für seine Einrichtungen von den Bauen. Das sind gute und sichere​ Einkünfte. Auch Masaes Vater hatte einige Grundstücke an die US-Army verpachtet. Die Soldaten und ihre Familien kaufen in Okinawas Läden ein. Viele Shops bewerben ihr Angebot auch auf Englisch. Es gibt ein Gewerbegebiet in Naha mit Namen American Village.
Welche Auswirkungen die Anwesenheit der Amerikaner auf Okinawa hat, sieht man am Beispiel des Militärflughafens Futenma. Der wurde in weites, unbewohntes Ackerland gebaut. Es gab nur einige kleine Dörfer in der Nähe. Heute liegt die Airbase inmitten von dicht besiedeltem Gebiet. Es gibt einen organisierte Bürgerprotest gegen die Militäranlage, sie gefährde die Sicherheit der Bevölkerung. Doch die Besiedlung fand erst nach dem Bau des Flughafens statt.
Eine der scheuen Krabben
Natürlich ist nicht alles gut. Die Angehörigen der US-Streitkräfte unterliegen nicht der japanischen Gerichtsbarkeit. Und es sind nicht alles Heilige. Es füllen vor allem Leute mit geringer Bildung die unteren Dienstränge. Etliche haben einen kriminellem Hintergrund – mit den zu erwartenden Konsequenzen.
Ich verlasse den Stand und gehe zur Mole. Zum Ozean hin ist sie mit großen Tetraedern befestigt. Daran wird das Meer eine Weile zu knabbern haben. Man sollte seine Kraft nicht unterschätzen. Auch wenn es friedlich scheint, nagt es ununterbrochen am Land. Mit unendlicher Geduld zersägt es in Jahrtausende langer Kleinarbeit härteste Felsen, höhlt Küsten aus, verschluckt Inseln.

Schlammspringer
Heute Nachmittag sehe ich den scheuen Krabben zu. Wenn ich auftauche, verschwinden sie rasch. Wenn ich lange genug ruhig auf meinem Platz bleibe, kriechen ganz langsam und verstohlen wieder hervor. Dabei haben sie mich ständig mit ihren scharfen Augen im Blick. Weiter unten, wo die Wellen die Betonfüße der Tetraeder umspülen, weiden die Schlammspringer.
Mein Handy klingelt. Masae fragt, wann ich nach Hause komme. Es ist schon bald 19 Uhr. Oh!

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